CfP „Food Studies – Quo vadis?“
Interdisziplinäre Potenziale zur Erforschung einer Ernährungsgeschichte des Mittelalters
18.12.2024 von Dr. Stephan Ebert
Forschungsprojekte mit Bezug zur Ernährung werden oftmals mit dem Forschungszweig der Food Studies gelabelt. Was aber sind Food Studies des Mittelalters bzw. der Vormoderne? Auf der Tagung sollen Beispiele erörtert werden, die laufende Forschungsprojekte und ihre Zugänge sowie theoretisch-methodische Vorschläge zur Eingrenzung einer vormodernen Ernährungsgeschichte thematisieren und somit den Begriff der Food Studies schärfen.

Forschungsprojekte mit Bezug zur Ernährung werden oftmals mit dem Forschungszweig der Food Studies gelabelt. Darunter wird allgemein eine Analyse der Ernährung und ihren Zusammenhängen in Wissenschaft und Gesellschaft in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verstanden.
Food Studies umfassen laut dem Wissensportal Wikipedia eine Vielzahl an Disziplinen wie etwa die Agrarwissenschaft, Ernährungslehre, Ethnologie/Kulturanthropologie, Gastronomie, Geschichtswissenschaft, Philosophie, Soziologie oder Literaturwissenschaft. Forschungsgegenstand der Food Studies ist daher die Beziehung von Ernährung und Nahrungsmitteln auf der einen und menschlichen Erfahrungen auf der anderen Seite (Miller/Deutsch 2009). Engmaschigere Definitionen sind hingegen selten.
Das Routledge International Handbook of Food Studies (Albala 2013) verzichtet sogar ganz auf eine Definition. Methodisch wurde vorgeschlagen, Food Studies im Sinne einer Ernährungsuntersuchung als Food Audit zu begreifen, um die Verschränkung von Produktion und Bedeutungszumessung in der Gesellschaft im Nahrungsmittelkontext sichtbar zu machen, indem bspw. Agro-Food Systeme untersucht und die Akteur-Netzwerk-Theorie angewendet werden (Murcott/Belasco/Jackson 2013).
Ähnliche Schwerpunkte setzen die Agro-Food Studies mit ihrem Fokus auf Nahrungsregime, die ein Wechselspiel von Wertschöpfungsketten und deren Steuerung durch zahlreiche Akteur:innen beinhalten (Ermann et al. 2017). Pläne zur Klimaanpassung wie etwa die von der Europäischen Union formulierte Strategie „From Farm to Fork“ tragen solchen Ansätzen im Sinne eines nachhaltigen Lebensmittelsystems Rechnung.
Diese Ansätze sind stark von der Gegenwart geprägt und stoßen bei vormodernen, insbesondere mittelalterlichen, Untersuchungsgegenständen schnell an Grenzen. Sie können bspw. aus der quellenmäßigen Überlieferung, den zeitgebundenen gesellschaftlichen und machpolitischen Strukturen oder ökonomischen Faktoren bestehen. Schon die einschlägigen nationalen Bezeichnungen der historischen Disziplin zeigen, wie unterschiedlich die jeweilige Ausgestaltung in historischer Perspektive ist: Food History, Ernährungsgeschichte, Storia dell'Alimentazione oder Histoire de la gastronomie. Zugleich rücken sie verschiedene Schwerpunkte historischer Forschung ins Licht. Was aber sind Food Studies des Mittelalters oder vielleicht der Vormoderne?
In der Mediävistik wird die Ernährungsgeschichte nicht als eigenständiges Teilfach betrachtet, sondern als Teil der Alltags- und Umweltgeschichte (mit Nähe zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte) begriffen (Goetz 2014; Hartmann 2017). Dabei haben sich die Geschichtswissenschaft, besonders aber die germanistische Mediävistik bei der Erforschung der mittelalterlichen Esskultur hervorgetan, indem die Netzwerke der Überlieferung diätetischen und kulinarischen Wissens herausgearbeitet und die Kulinarik der Epoche selbst untersucht wurde. Freilich ist auch die Bedeutung der Religion für die mittelalterliche Kulinarik bis hin zur europäischen Identität hervorgehoben worden. Interdisziplinäre Ansätze, die archäologische und archäobotanische Befunde mit der Geschichtswissenschaft zusammenbrachten, konnten das Bild der Ernährungslage des Mittelalters schärfen. Heute erlauben digitale Quellenkorpora wie CoReMA die computergestützte Auswertung deutschsprachiger Kochrezepte des Mittelalters.
Es ist Zeit, verschiedene Ansätze und Disziplinen zu bündeln und gemeinsam darüber zu diskutieren, was Food Studies in der Mediävistik ausmacht. Auf der Tagung sollen daher Beispiele und Ansätze erörtert werden, die laufende Forschungsprojekte und ihre Zugänge sowie theoretisch-methodische Vorschläge zur Eingrenzung einer vormodernen Ernährungsgeschichte thematisieren und somit den Begriff der Food Studies schärfen. Folgende Leitlinien sollen diskutiert werden:
- Was ist spezifisch für die Ernährungsgeschichte/Food Studies des Mittelalters oder ist sie nur im Rahmen der Vormoderne zu fassen?
- Gibt es Möglichkeiten einer Periodisierung nach alimentären Kriterien?
- Welche Bereiche der Food Studies können aus mediävistischer Perspektive erforscht werden und welche nicht?
- Wie können neue Perspektiven durch das Zusammenspiel unterschiedlicher Disziplinen zu einer stärkeren Aussagekraft der Forschungsergebnisse führen?
- Wo sind Desiderate der Forschung und Schnittstellen für mehr interdisziplinäre Ansätze?
- Und: Food Studies – quo vadis? Wie sehen neue Ansätze aus, welche Theorien und Kombination von Methoden versprechen neue mediävistische Forschungsperspektiven?
Aufgrund des alimentären Forschungsgegenstands wird eine interdisziplinäre Ausrichtung intendiert. Die Tagung richtet sich an Nachwuchswissenschaftler:innen sowie etablierte Forscher:innen. Beiträge aus der Agrargeschichte, Archäologie/Archäobotanik, Gendergeschichte, Geografie, Geschichtswissenschaft, Kulturanthropologie, Literaturwissenschaft, Medizingeschichte, Religionswissenschaft/Theologie, Soziologie oder Sprachwissenschaft sind herzlich willkommen.
Die einzelnen Vorträge sollen 20 Minuten umfassen mit anschließender Diskussion. Interessierte sind eingeladen, Themenvorschläge mit einer kurzen Skizze (Abstract) im Umfang von 300 Wörtern einzureichen. Ihre Vorschläge können Sie auf Deutsch oder Englisch verfassen. Die Konferenzsprachen werden Deutsch und Englisch sein.
Eine Publikation der Tagungsbeiträge ist geplant. Außerdem bemühen wir uns, die Reise- und Unterbringungskosten zu übernehmen.
Wir bitten um Zusendung von Abstracts bis zum 2. März 2025 an Dr. Stephan F. Ebert.