Praktiken und Deutungen politischer Gewalt auf der Straße

Wie entwickelten sich aus friedlichen Protesten gewaltsame Straßenkämpfe? Welche Rolle spielte dabei die Architektur in Städten? Das Forschungsprojekt untersucht am Beispiel europäischer Großtstädte Demonstrationen, Proteste und Ausschreitungen seit den 1970er Jahren.

Soziale Bewegungen werden verstärkt seit den 1970er Jahren aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive untersucht. Historiker:innen machten auf Kontinuitäten solcher Bewegungen aufmerksam, die sich immer wieder auf ihre historischen Vorläufer beziehen; nicht zuletzt, um sich dabei weiterzuentwickeln. In der Forschung wurde lange Zeit eine liberale Protestgeschichte tradiert, die einen modernisierenden und transformierenden Charakter der Bewegungen hervorhob. Doch von einem Rückgang von Protestereignissen kann nicht die Rede sein. Immer wieder finden Menschen im öffentlichen Raum zusammen, um auf Missstände aufmerksam zu machen.

Vor allem gewaltsame Widerstände waren es, die das Bild von Protestereignissen prägten. Sie bestimmten die mediale Berichterstattung und sorgten für Schlagzeilen. Trotzdem wurden Praktiken und Deutungen politischer Gewalt im Kontext von Protestereignissen in der Geschichtswissenschaft bisher nur wenig untersucht. Dabei kann gerade eine historische Betrachtung Aufschluss darüber geben, dass Gewalt als politische Ausdrucksform nicht voraussetzungslos entsteht. Sie ist eingebettet in den historischen Moment genauso wie in die tradierten Deutungen des Vergangenen.

Das Forschungsprojekt untersucht anhand von Fallstudien aus verschiedenen europäischen Städten Gewaltdiskurse, Gewalterinnerungen und konkrete Gewalthandlungen spürt ihren Kontinuitäten und Transformationen seit den 1970er Jahren nach. Dabei wird unter urban violence ein eigenes Gewaltphänomen verstanden, das eng mit der Urbanität und dem städtischen Raum verknüpft ist und eigene Formen aufweist. Denn Gewaltpraktiken finden immer in einem Raum statt, der Handlungsmöglichkeiten bietet und einschränkt. Die Akteur:innen, zu denen Demonstrierende, Ordnungs- und Sicherheitskräfte, Zuschauende oder auch städtische Vertreter:innen gehören, interagieren mit dem urbanen Raum. Sie können ihn strategisch nutzen und verändern. Zudem strukturieren sie ihre Deutungen von und Erinnerungen an Protestgewalt nicht nur zeitlich, sondern auch räumlich.

Daher richten sich die Forschungsfragen auch an den Handlungsraum: Wie beeinflussten baulich-räumliche Bedingungen in Städten Gewalt und wie prägte Gewalt wiederum den urbanen Raum?

Diese Forschungsfragen werden auf der Grundlage eines breiten Quellenkorpus erörtert. Zu diesem gehören schriftliche Quellen der genannten Akteur:innen, aber auch die Berichterstattung in Zeitungen, Interviews mit Zeitzeug:innen und Fotoanalysen. Auch der Einbezug von zeitgenössischen Radiobeiträgen bietet authentisches Quellenmaterial.

Das Projekt ist Teil des regionalen, hessischen Forschungszentrums TraCe (Tansformations of Political Violence) und wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.