Florenz als Forum und Fluchtpunkt
Tagung des RMU-Italienforums

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Florenz als Forum und Fluchtpunkt. Austausch zwischen Deutschland und Italien vom langen 19. Jahrhundert bis zur Besetzung durch Nazideutschland

Das Italienforum der Rhein-Main-Universitäten veranstaltet in Zusammenarbeit mit dem Evenari-Forum für deutsch-jüdische Geschichte an der TU Darmstadt eine Tagung zu dem Thema “Florenz als Forum und Fluchtpunkt. Austausch zwischen Deutschland und Italien vom langen 19. Jahrhundert bis zur Besetzung durch Nazideutschland”

Veranstaltungstag: 7. Dezember 2024

Veranstaltungsort: TU Darmstadt, Residenzschloss 1, 64283 Darmstadt

Während des „langen 19. Jahrhunderts“ (Hobsbawm) entwickelte sich in Florenz eine einzigartige Konstellation (Dieter Henrich) aus deutschen Wissenschaftlern, Gelehrten, Schriftstellern, Journalisten, Unternehmern und bildenden Künstlern. Sie spielten eine große Rolle für die wechselseitige Vermittlung von nord- und südalpinen kulturellen, politischen und sozialen Ideen, besonders in den Jahren um Vor- und Nachmärz sowie Risorgimento und Gründerzeit. Diese Phase intensiven Austauschs erfuhr durch die Zäsur des Ersten Weltkrieg eine tiefgreifende Transformation. Doch umfasst die Geschichte der besonderen deutsch- florentinischen Beziehungen auch das 20. Jahrhundert. Ihr zeitlicher Rahmen reicht also von den Anfängen im Salon der Gräfin Albany Stolberg und des Dichters Alfieri über Aby und Mary Warburg und Rilke bis hin zu Max Krell und Hilde Domin.

Während sich im 19. Jahrhundert die einen im Exil wegen drohender Strafverfolgung befanden, wie etwa die deutsche Jüdin Ludmilla Assing oder der Paulskirchenabgeordnete Philipp Schwarzenberg, suchten andere Aktivisten der Achtundvierziger Revolution eine neue Wirkungsstätte. Manche, wie die Brüder Moritz und Hugo Schiff aus Frankfurt, wurden zusätzlich vom wachsenden Antisemitismus bedroht. Wiederum andere, wie der Bildhauer Adolf Hildebrand und um die Jahrhundertwende der jüdische Kunsthistoriker Aby Warburg, wählten Florenz bewusst als Ort der „Renaissance“. Historiker wie Otto Hartwig und der deutsch-jüdische Robert Davidsohn schließlich begeisterte die republikanische Stadtgeschichte. Die Ansässigen zogen Durchreisende an, die oft für kürzere oder längere Zeit verweilten, unter vielen anderen zunächst Felix Mendelssohn-Bartholdy, unter den späteren Besuchern dann Franz Liszt, Richard und Cosima Wagner, Herman und Gisela Grimm, Carl Justi, Clara Schumann, Ernst Steinmann oder Henriette Hertz, die heute als Stifterin der Biblioteca Hertziana in Rom bekannt ist. Sie alle schätzten den freien Geist und die liberale Tradition der Stadt am Arno.

Spätestens mit Jacob Burckhardt und dessen Renaissance-Buch erhielt das Bürgertum eine Ursprungserzählung, die es gegenüber dem Adel nobilitierte und in Renaissance-Florenz einen festen Ort fand. Von dieser Konstellation der Deutsch-Florentiner oder Florentiner Deutschen, wie Davidsohn sie nannte, deren Höhepunkt etwa zwischen 1860 und 1880 lag, führten vielfältige Verbindungslinien sowohl in die italienische, von Risorgimento und Postrisorgimento geprägte Gesellschaft als auch über die Alpen, wo der italienische Einigungsprozess durchaus Interesse und nicht selten Bewunderung erweckte. Dabei war diese Gruppe politisch und weltanschaulich keineswegs einheitlich gesinnt. Die Akteure bezogen Stellung in den Kontroversen zwischen Revolution, Nationalismus, Kosmopolitismus und Realpolitik, was nicht immer ohne Konflikte innerhalb der Gruppe abging. Gleichzeitig war der Blick vieler ihrer Mitglieder auf die Geschehnisse in Deutschland durch die Distanz und ihre Stellung in der Fremde geschärft und brachte gesellschaftlich-politische Ideen und Entwürfe hervor, die zu Unrecht in Vergessenheit geraten sind, wie etwa das Beispiel Karl Hillebrands zeigt. Historisch standen diese Akteure in gleich mehreren Epochenumbrüchen, zwischen Romantik und Vor- und Nachmärz, Risorgimento, Postrisorgimento und deutscher Gründerzeit bis hin zum fin de siècle und dem Ersten Weltkrieg, der als Wasserscheide diese einzigartige Konstellation veränderte und Florenz als Forum des Austauschs tief traf.

In der schwierigen Zwischenkriegszeit, unter den Bedingungen von Wirtschaftskrise und erstarkendem Faschismus und Nationalsozialismus, wurden Florenz und die Toskana erneut zum Fluchtpunkt vor allem für deutsch-jüdische Intellektuelle. Nach 1933 kreuzten sich hier die Wege dieser ebenfalls oft aus gegensätzlichen politischen Lagern stammenden Exilanten, etwa im uralten Palast Torre di Bellosguardo bei Marion von Hornstein-Franchetti, einer schwäbischen Adligen und Witwe eines Rothschild-Sohns. Viele Kinder der Emigranten wurden durch den Besuch des deutschen Landschulheims in Fiesole und Florenz (1933-1938) unter der Leitung von Werner Peiser und Moritz Goldstein geprägt. Zu den Emigranten zählten die Renaissanceforscher Hans Baron und Paul Oskar Kristeller, der Schriftsteller Alfred Neumann und der eigenwillige Danteübersetzer Rudolf Borchardt ebenso wie die fast vergessene Schriftstellerin Alice Berend, der Darmstädter Gelehrte Karl Joseph Wolfskehl, der Verleger bedeutender expressionistischer Autoren, Kurt Wolff, die frühe Feministin Otti Binswanger-Lilienthal und Monika Mann. Die Stadt und ihre Bewohner boten ihnen bis 1938 eine zwar prekäre, aber zunächst sichere „Zuflucht“ (Klaus Voigt). Auf welche Weise die humanistischen und republikanischen Traditionen der Arnostadt in dieser Situation auf das Denken und Handeln der Akteure und Akteurinnen und ihrer Kinder wirkten, ist eine offene Frage. Spätestens mit der Besetzung von Florenz durch die deutschen Truppen 1943 fand diese Phase ein zum Teil schreckliches Ende.

Der Workshop soll einen Beitrag dazu leisten, diese weitgehend vergessenen Konstellationen aufzuarbeiten und wieder sichtbar zu machen. Zu fragen ist beispielsweise nach den Netzwerken innerhalb von Florenz bzw. Italien und ihrer Reichweite bis nach Deutschland, aber auch bis in die Vereinigten Staaten, wo nach dem 2. Weltkrieg die Exilanten um Hans Baron und Felix Gilbert eine neue Lesart des florentinischen Humanismus als dezidiert liberalen und republikanischen civic humanism etablierten und auf diese Weise Jahrzehnte später auch wieder deutsche Diskurse beeinflussten (z.B. Herfried Münkler über Machiavelli). Welche Rolle spielen der genius loci von Florenz und die kosmopolitischen Netzwerke der zeitweiligen Florentiner als intellektuelle Fluchtpunkte? Zu fragen ist ferner nach den vielfältigen, auch politischen Wirkungen des Austauschs, die jenseits fachlicher Dimensionen auch in der Öffentlichkeit, zum Teil bis heute, sichtbar sind.

Es können aber auch einzelne Aspekte fokussiert werden, z.B. auf die bedeutende Gruppe der jüdischen Deutschen in Florenz, zu denen auch Weinhändler und Banker zählten. Schließlich könnte ein Schwerpunkt auf dem deutsch-italienischen Austausch und seinen ‚Institutionen‘ wie dem Gabinetto Vieusseux, auf Hillebrands Zeitschrift „Italia“, dem Florentiner Landschulheim oder der Villa Torre di Bellosguardo liegen. Ein weiterer Themenkomplex ist die Mittelalter- und Renaissanceforschung, die in und zu Florenz betrieben wurde. Namen wie Germaine de Stael, Amari, Hartwig, Burckhardt und Davidsohn, Kristeller und Baron wären hier zu nennen; evtl. könnten auch dichterische Verarbeitungen des Themas von C.F. Meyer über Isolde Kurz bis Hilde Domin behandelt werden.

Mehr Informationen zu den Vorträgen und Inhalten folgen in Kürze.