Dr. Albrecht von Kalnein
Stiftungsvorstand, Werner-Reimers-Stiftung

Dr. Albrecht Graf von Kalnein studierte Geschichte, Romanistik und Germanistik in Graz, Madrid und Freiburg. Seit April 2014 ist er Vorstand der Werner Reimers Stiftung sowie stellvertretender Vorsitzende des Forschungskolleg Humanwissenschaften, beide Bad Homburg v. d. H.

Zweck dieser Stiftung ist laut Satzung „in Zusammenarbeit verschiedener Wissenschaften dazu beizutragen, das Verhalten des Menschen und das Wirken seiner Institutionen zu verstehen“ im Dialog zwischen Forschung und Gesellschaft. Entsprechend des Lebensweges des Unternehmers und Mäzens Werner Reimers (1888, Yokohama – 1965, Freiburg i. B.) setzt sie sich zudem für die deutsch-ostasiatische Verständigung ein.

Haben Sie aktuell weitere berufliche Ziele?

Selbstverständlich, wer hätte solche nicht? Ich verfolge sie mit und mittels der Werner Reimers Stiftung, mit der persönlichen Unternehmung Stiftung Plus, der Agentur für Gutes Stiftung, sowie den Einrichtungen, für die ich mich ehrenamtlich engagiere, wie beispielsweise die Evangelische Schulstiftung in Mitteldeutschland.

Wie wird sich die Arbeitswelt in den nächsten 20 Jahren Ihrer Meinung nach entwickeln?

Das Arbeitsleben wird sich weiterhin rapide verändern. Themen wie Digitalisie-rung und Globalisierung werden weiter in fast alle Sektoren von Gesellschaft und Politik drängen, für jeden von uns spürbar. Doch für die nächsten Jahrzehnte wird weiterhin der Mensch der Eckstein für wohl jede Arbeitsumgebung sein. Geisteswissenschaftler – „Humanisten“ im eigentlichen Wortsinn! – sollten dies stets bedenken und pflegen.

Das Arbeitsleben entwickelt sich oder „geschieht“ freilich nicht von allein! Wir alle gestalten es mit, an welchem Ort und in welchem Wirkungsgrad auch immer. Ich selber werde stets für den Grundwert „humans first“ einstehen. Denken Sie an Martin Buber, den großen deutsch–jüdischen Philosophen, und seine Erkenntnis, dass alles menschliche Leben Begegnung ist. Wir sind vorrangig Menschen und Mitmenschen – also aufgerufen, alles zu tun, dass das auch so bleibt. Vielleicht müssen wir mit Blick auf die (vielleicht bewusst getriebene ?) „Eigendynamik“ im Feld der künstlichen Intelligenz noch wachsamer und skeptisch sein.

Wie bewerten Sie die Rolle der Internationalisierung für unseren Fachbereich?

Internationalisierung und Globalisierung machen natürlich auch vor unserem Fachbereich nicht halt, ja, sie machen letztlich den Kern unserer Fächer aus. Oder ließe sich beispielsweise die Geschichte von Gründung und Entfaltung der Universitäten seit der von Bologna oder Prag etwa im nationalen Rahmen (be)schreiben? Daher also: Packen wir es an! Das heißt auch: Sprachen- und gelebte Auslandskompetenz erwerben. Es gilt, als Historiker an Partneruniversitäten neue Freunde, Fähigkeiten und Weltsichten zu erwerben für Erklären und Verstehen – über zeitliche, internationale und kulturelle Grenzen hinweg. Das bedeutet übrigens mehr als schlichte Fremdsprachenkompetenz. In einer globalisierten Welt ist „Internationalisierung“ ohnehin unausweichlich. Sinnvoll und verständig angepackt, macht sie zudem Spaß und bereichert.

Betrachten Sie Ihren Vater als Ihr Vorbild?

In der Rückschau sehe ich: Er war für mich wichtiger, als mir als jungem Menschen bewusst war. Er war als Kunsthistoriker erst Museumsmann, nach der Pensionierung a. o. Professor für Kunstgeschichte. Drei Aspekte der prägenden Bedeutung greife ich heraus:

a) Freude an der Arbeit, an den Themen und deren weiteren Bezügen,

b) das Verständnis, fast schon Gefühl dafür, wie wichtig historische Tiefenschärfe ist. So gegenwartsverliebt unsere Epoche auch daherkommt, die gewachsene Identität prägt den einzelnen und ganze Gesellschaften mehr als häufig bewusst wird. Spätestens im Fall von Krisen tauchen doch regelmäßig Fragen auf wie „Wie konnte es dahin kommen?“, „Welche andere Möglichkeiten hätte es gegeben?“ oder „Was macht mich / uns eigentlich aus?“. Für die Beantwortung dieser Fragen ist Geschichte eine unverzichtbare Ressource.

c) Aufrichtigkeit und Beständigkeit im Beruf – auch in rauhen Zeiten. Am Ende seines Berufslebens hatte mein Vater sich fast nichts Unlauteres vorzuwerfen – was für eine Genugtuung und innere Bestärkung für die weiteren 27 Jahre, die ihm beschieden waren !

Müssen Sie häufig unbequeme Entscheidungen treffen?

Glücklicherweise selten. Einige wenige Entscheidungen dieser Art waren freilich zu treffen. Stets fielen sie mir schwer und ließen mich schlecht schlafen. Denn Verantwortung für eine Einrichtung oder ein Amt ist halt stets Ehre und Last zugleich. In solche einem gilt es dann bisweilen, nach Abwägung zugunsten des Ganzen, zulasten des Einzelfalls entscheiden zu müssen. Das setzt voraus, die Sache zuvor mit möglichst klarem inneren Kompass durchdacht und geduldig verschiedene Rechtsgüter oder Geschicke „abzuwägen“, die Entscheidung mit Vertrauten durchzusprechen und möglichst erst am Tag darauf zu entscheiden. All das muss weitsichtig und sorgfältig kommuniziert werden – nach innen wie nach außen – und schließlich so fair wie nur möglich gegenüber allen Beteiligten umgesetzt werden. Wissen nicht gerade wir Historiker um die Bedingtheit von Entscheidungen, haben nicht gerade wir etwas übrig für Empathie mit „dem anderen“?