Call for Paper: 3. Internationale Mittelalter-Konferenz in Lorsch, 31. März – 2. April 2022
Vom Buch aufs Feld – vom Feld ins Buch. Verflechtungen von Theorie und Praxis in Ernährung und Landwirtschaft (ca. 1300–1600)
26.03.2021 von Stephan F. Ebert
In der Gegenwart führt der menschengemachte Klimawandel in der Landwirtschaft, der Nahrungsmittelproduktion und -konsumption zu intensiven Debatten. Die industrielle Land- und Viehwirtschaft steht in der Kritik, das Klima anzuheizen. Es entwickeln sich daher alternative Ansätze; neue Interaktionsformen zwischen Mensch und Natur entstehen. Durch moderne Techniken und Medien wandeln sich in der Gegenwart zugleich die Informationsmöglichkeiten und die Nahrungsmittelbeschaffung tiefgreifend. Doch auch in der Vergangenheit haben Umbruchszeiten tiefgreifende Transformationsprozesse von Wirtschaftsweisen und Konsumverhalten ausgelöst.
(wird in neuem Tab geöffnet) CfP (in Deutsch und Englisch).
Unter anderem klimatische Trends seit dem Einsetzen der Kleinen Eiszeit (ca. 1300), die europäische Hungerkrise (1315–1317) oder die Große Pest (1347–1352) führten zur Umwälzung gesellschaftlicher Verhältnisse, die auf die Landwirtschaft sowie den Anbau von Sonderkulturen wie etwa den Obst- und Weinbau Auswirkungen hatten. Durch den Humanismus und die Medienrevolution des 15. Jahrhunderts beschleunigt und vervielfältigt, wurde vermehrt klassische Fachliteratur in die Volkssprachen übertragen und auf diese Weise einem breiteren Rezipient*innenkreis zugänglich.
Kulinarik und Diätetik sind daher bereits seit längerem Gegenstand der Germanistischen Mediävistik. Alte Wissensbestände über Agronomie und Diätetik wurde aber nicht nur kopiert, sondern auch um relevante Informationen zu witterungsbedingten Ansprüchen sowie unterschiedliche Wachstumsphasen bestimmter Pflanzen ergänzt. Durch den Columbian Exchange fanden dabei allmählich auch Nahrungsmittel der Neuen Welt (z. B. Mais, Paprika) Eingang in die Fachliteratur, wie beispielsweise das New Kreüterbuch von Leonhart Fuchs (1543) zeigt.
Auch adlige Heiratsverbindungen sorgten für einen Austausch von Ernährungsgewohnheiten, die neuartige Anbauformen erforderlich machten (z. B. Spargel). ‚Verdichtungsorte des Wissens‘ wie Höfe, Städte und Klöster können hier als Impulsgeber verstanden werden, da dort aufgrund der intellektuellen, wirtschaftlichen und grundherrschaftlichen Ressourcen Expertenwissen am ehesten zusammenlief und weiterverbreitet werden konnte.
Es ist kritisch zu diskutieren, in welchem Verhältnis hier Traditionswissen, Ansätze zur Empirie und praktisches Erfahrungswissen (z. B. local knowledge) zueinander standen. Verbanden sich diese Formen tatsächlich oder setzten sich bestimmte Formen durch und falls ja, unter welchen Bedingungen? Insgesamt, so die Annahme, konnten neue Interaktionsformen mit der biophysikalischen Umwelt entstehen, die als sozionaturale Schauplätze im Sinne der Wiener Schule der Umweltgeschichte aufgefasst werden können.
Die geplante Tagung möchte hinter diese Prozesse und wechselwirkenden Dynamiken blicken und dabei nicht nur Fragen der Wissensaneignung und -distribution klären, sondern auch deren Auswirkungen auf die gesellschaftlichen Wandlungsprozesse während der Zeit von 1300–1600 diskutieren: Inwiefern half insbesondere volkssprachliche Fachliteratur dabei, Wissen ‚vom Buch auf das Feld‘ zu bringen (oder umgekehrt) und inwiefern führten neues Wissen und neue Praktiken zu einer gesellschaftlich getragenen Umformung bestehender Ökosysteme?
Auf der Tagung sollen diese Fragen aus interdisziplinären Perspektiven beleuchtet werden. Folgende Themenkomplexe können diskutiert werden:
• Krisen des Spätmittelalters: Wechselwirkungen mit Transformationsprozessen bei Ernährung und Landwirtschaft (inkl. Sonderkulturen)
• Volkssprachliche Fachprosa: Formen der Rezeption und Distribution von spezifischem Wissen (Stadt, Land, Hof)
• Medien und volkssprachliche Fachprosa: Die Rolle neuer Techniken und Medien (Buchdruck, Flugschriften) bei der Verbreitung und Anwendung des Wissens (besonders bei Gesellschaftsschichten mit eingeschränkten Bildungsmöglichkeiten)
• Biophysikalischer und gesellschaftlicher Wandel: Der Einfluss von Wetter und Witterung auf die praktische Umsetzung von Fachwissen
• Gesellschaftlicher und biophysikalischer Wandel: Der Einfluss von Fachwissen auf die naturräumliche Umgestaltung (z. B. Ackerbau, Flurformen, Sonderkulturen, Teichwirtschaft etc.)
• Ein Sonderweg Europas? Vergleichsfälle durch globale Perspektiven
Auf der geplanten Tagung sollen Forscher*innen der mediävistischen und frühneuzeitlichen Fächer (Geschichtswissenschaft, Germanistik, Archäologie usw.), sowie der Geographie, Paläoklimatologie und -botanik (z. B. Dendrochronologie, Palynologie) versammelt werden. Die Beiträge sollen im Anschluss an die Tagung in einem peer reviewed Sammelband veröffentlicht werden. Reise- und Hotelkosten werden übernommen.
Vorträge sind auf Deutsch und Englisch möglich. Die Diskussion wird auf Englisch stattfinden. Aus diesem Grund wird darum gebeten, die Folien der Präsentationen ebenfalls auf Englisch zu gestalten. Die Veranstaltung ist unter Einhaltung eines Hygienekonzepts zunächst in Präsenz geplant. Änderungen aufgrund etwaiger Bestimmungen im Umgang mit der Corona-Pandemie können jedoch eintreten. In diesem Fall werden auch digitale und hybride Alternativen erarbeitet. Sollten Sie eine digitale Teilnahme bevorzugen, schreiben Sie dies bitte in Ihr Abstract.
Wir bitten um Zusendung von Abstracts mit 250 Wörtern bis zum 31. Mai 2021 an Stephan F. Ebert (ebert@pg.tu-darmstadt.de).