Die Geschichte von Industrie 4.0. Fabrikkonzepte der Ingenieurswissenschaften in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts
Nora Thorade, Julia Erdogan
DFG-Projekt, Projektlaufzeit: 4/2018 – 3/2022
Die Fabrik der Zukunft ist seit einigen Jahren unter dem Schlagwort Industrie 4.0 erneut in das Zentrum wissenschaftlicher und öffentlicher Diskussionen über eine effiziente, wettbewerbsfähige und sozialverträgliche Produktion gerückt. Aus technikhistorischer Perspektive scheint die Idee hinter dem Konzept jedoch nicht neu.
Die Fabrik der Zukunft ist seit einigen Jahren unter dem Schlagwort Industrie 4.0 erneut in das Zentrum wissenschaftlicher und öffentlicher Diskussionen über eine effiziente, wettbewerbsfähige und sozialverträgliche Produktion gerückt. Aus technikhistorischer Perspektive scheint die Idee hinter dem Konzept jedoch nicht neu. Spätestens seit Ende der 1970er Jahre wird die Zukunft der Fabrikproduktion auf Basis neuer Informations-, Kommunikations- und Automationstechnologien diskutiert. Der Blick auf die Konzepte von Fabrik, die seitdem in der universitären und außeruniversitären Forschung in Deutschland entwickelt wurden, zeigt eine erstaunliche Persistenz. Daher wirft das Projekt die Frage auf, ob es sich bei Industrie 4.0 um einen neuen Ansatz handelt oder nicht eher um die Fortschreibung der Idee einer Fabrik der Zukunft.
In diesem Forschungsprojekt stehen daher, anders als in der bisherigen Forschung, die Visionen, Konzepte und konkreten Forschungen der Ingenieurswissenschaften, genauer der produktionstechnischen Forschung im Mittelpunkt. Indem deren Forschungsprojekte, Leitbilder, Entwürfe und Konzepte analysiert werden, soll ein Beitrag zur Geschichte der Automatisierung und Digitalisierung der industriellen Arbeitswelt geleistet werden. Konzepte wie Computer Integrated Manufacturing (CIM), die eine Fabrik der Zukunft als rechnerintegriert oder -gestützt und als ganzheitliches, informationstechnisches System entwickelten, sind zentral für das Projekt. Denn obwohl CIM an der Umsetzung scheiterte, blieben wesentliche konzeptionelle Ideen bestehen und finden sich heute erneut in den Überlegungen zur Industrie 4.0 wieder. Parallelen zeigen sich bei der einflussreichen Vorstellung der ganzheitlichen Produktion, den wirtschaftlichen Versprechen, der zögerlichen Umsetzung sowie der vielseitigen fachlichen und öffentlichen Diskussion. Die verschiedenen Diskurse verhandelten dabei auch Visionen und Befürchtungen, die von der Computerisierung der Arbeitswelt ausgingen, und widmeten sich der Frage nach der Zukunft der Arbeit und der Ersetzung der Menschen durch die Maschinen. Das Projekt analysiert diese gesellschaftlichen Debatten sowie die Rolle und Bedeutung der ingenieurswissenschaftlichen Forschung im öffentlichen Diskurs.
Die (Weiter-)Entwicklungen der Technologien und Konzepte sowie die Vermittlungen und Reaktionen auf verschiedene Entwürfe einer Fabrik der Zukunft sollen mit dem Konzept des Wissenspfades beschrieben und erklärt werden. Das Projekt lehnt sich damit an das Konzept der Pfadabhängigkeit an, das in der Technikgeschichte bereits verschiedentlich fruchtbar gemacht wurde. Es soll die Herausbildung, Formung und insbesondere die Stabilität einer Forschungsrichtung erklären helfen. Generell zielt das Pfadkonzept auf die Erklärung von Kontinuität und Beständigkeit eines einmal eingeschlagenen Weges ab. Automatisierung und Digitalisierung erscheinen dabei als Leitbild der Fabrik der Zukunft, das trotz Sackgassen, Umwegen und Anpassungen beibehalten wird, und sich auch heute in der Idee von Industrie 4.0 wiederfindet.
Das Projekt ist finanziert von der DFG: Laufzeit: 01.04.2018 – 31.03.2022
Zentrale Publikationen zum Forschungsschwerpunkt:
Die Vierteilung der Vergangenheit. Eine Kritik des Begriffs Industrie 4.0, in: Technikgeschichte 86 (2019) H.2, S. 3-20. (zusammen mit Martina Heßler )
A Global History of Technology
Project Leader: Professor Mikael Hård
Institution: Institute of History, Technische Universität Darmstadt, Germany
Financial Support: European Research Council (Project No. 742631)
Timeframe: October 2017 – September 2022
Today, people in practically every corner of the world use mobile phones. In many places, though, the same population that uses this so-called modern form of communication also prepares their meals with a “primitive” technology: the charcoal cook stove. Indeed, confronted by economic and political crises, the inhabitants of some countries have returned to using techniques many consider out-of-date. In some cases, horses have replaced tractors to plow fields. Such observations challenge established views of globalization and technological change. Empirical evidence contradicts the notion that globalization holds irresistible power, and that technological change is a linear and evolutionary process. The world is certainly not the same everywhere!
Our goal is to increase our understanding of the relationships between the development and use of technologies in Europe and North America on the one hand and the so-called Global South on the other. Some of the topics and areas of particular interest include:
The local translation of internationally available plans, designs, and practices: During and immediately after the colonial period, residents of Asian, African, and Latin American countries variously attempted to implement, transform, or resist “Western” technologies—for example, in the areas of service provision and urban planning.
Technological encounters and the emergence of hybrid artifacts: In addition to considering the area of cooking equipment, the GLOBAL-HOT team examines cases in the arena of mobility. For example, the Global South is rich in examples of local craftsmen, artists, and users modifying and tinkering with imported bicycles, motorbikes, and cars to prolong their lives and to expand their usability.
The continued application of locally embedded practices and know-how: If we want to write a history from below, as it were, studies of the “autoconstruction” of makeshift houses in so-called slum areas lay close at hand. Agricultural techniques are another area in which local traditions and know-how have stayed alive and have been developed further.
The maintenance, operation, and repair of buildings and infrastructures: In contrast to most studies on the history of large technological systems, GLOBAL-HOT investigates what happened after buildings and systems were established. In other words, the team’s focus is on the continuous attempts to keep established systems running.
The project, A Global History of Technology (GLOBAL-HOT), investigates the fate of technologies that circulated in various parts of the world from 1850 to 2000. Its researchers also investigate the persistent use of indigenous technologies along with globalized ones, as well as the emergence of hybrid solutions.
Recent Publications
Hård, Mikael, Microhistories of Technology Making the World, Palgrave Studies in the History of Science and Technology. Palgrave Macmillan, Cham.
van der Straeten, Jonas. Sustainability’s “Other”: Coming to Terms with the Electric Rickshaw in Bangladesh. Historical Social Research 47 (4), 2022: 139-167. DOI: 10.12759/hsr.47.2022.42.
Drengk, David, “Instandhaltung und Reparatur als Rückgrat kolonialer Eisenbahnen. Zentrale und mobile Werkstätten und Krankenstationen im ivorischen Wald„ [“Maintenance and Repair as the Backbone of Colonial Railways. Centralized and Mobile Workshops and Infirmaries in the Ivorian Forest“], Technikgeschichte 89:2 (2022): pp. 149-180.
Osoria Tarazona, Alejandra, „Why Chuño Matters: Rethinking the History of Technology in Latin America“ Technology and Culture 63, no. 3 (2022): 808-829.
Mchome, Emanuel Lukio (2022): ‘Blackout Blues’: A Socio-cultural History of Vulnerable Electricity Networks and Resilient Usersen Wald„ in Dar es Salaam, 1920–2020. Darmstadt, Technische Universität Darmstadt [Dissertation].
Edward, Frank, “Planned Vulnerabilities? Street Flooding and Drainage Infrastructure in Colonial Dar es Salaam", HoST: Journal of History of Science and Technology 16 (1), 2022: 29-47.
Wandel der Arbeit im Kontext der Digitalisierung
Computerisierung als Herausforderung der Gewerkschaftsbewegung
Karsten Uhl
DFG-Projekt, Projektlaufzeit: 9/2018 – 9/2021
In diesem Projekt wurden technologische, soziale und kulturelle Umwälzungen in der Druckindustrie der 1970er und 1980er Jahre zum Ausgangspunkt einer Untersuchung der Entstehung und Entwicklung der Krise der Gewerkschaften genommen.
Die Druckbranche eignete sich besonders für eine solche Studie, da sie von einer hochqualifizierten und in hohem Maße gewerkschaftlich organisierten Arbeiterschaft geprägt war, weshalb die IG Druck und Papier eine besonders starke Position innehatte. Der Untersuchungszeitraum reicht von den 1950er Jahren, als die Branche den Wandel vom noch stark handwerklich geprägten Druckgewerbe zur Druckindustrie durchlief, bis in die Mitte der 1980er Jahre. Der Schwerpunkt der Studie lag in den von der Einführung der Computertechnologie geprägten 1970er und frühen 1980er Jahre; einen vorläufigen Abschluss des Prozesses der Computerisierung markierte die Etablierung des Desktop Publishings ab 1985.
Projektergebnisse
- Karsten Uhl: Die „frechen rechnergesteuerten Systeme“. Die Computerisierung der Druckindustrie und der Wandel der industriellen Beziehungen seit den 1970er Jahren, in: Der Steinkohlenbergbau in Boom und Krise nach 1945. Das Ruhrgebiet als Vergleichsfolie für Transformationsprozesse in der Schwerindustrie, hg. v. Lars Bluma u. Juliane Czierpka (Berlin: de Gruyter, angenommen, voraussichtlich Sommer 2021).
- Karsten Uhl: Challenges of Computerization and Globalization: The Example of the Printing Unions, 1950s to 1980s, in: Since the Boom. Continuity and Change in the Western Industrialized World after 1970, hg. v. Sebastian Voigt, Toronto 2020, S. 129-152.
- Karsten Uhl: (wird in neuem Tab geöffnet), in: Smart Work!? Mitbestimmung im digitalen Zeitalter, hg. v. Peter Beule, Bonn 2020, S. 5-18. Mitbestimmung und Digitalisierung. Die Computerisierung der Druckindustrie in den 1970er-Jahren als Geschichte der Gegenwart
- Karsten Uhl: Eine lange Geschichte der „menschenleeren Fabrik“. Automatisierungsvisionen und technologischer Wandel im 20. Jahrhundert, in: Marx und die Roboter. Vernetzte Produktion, künstliche Intelligenz und lebendige Arbeit, hg. v. Florian Butollo u. Sabine Nuss, Berlin 2019, S. 74-90.
- Nina Kleinöder, Stefan Müller u. Karsten Uhl, Hg.: „Humanisierung der Arbeit“. Aufbrüche und Konflikte in der rationalisierten Arbeitswelt des 20. Jahrhunderts, Bielefeld 2019.
- Karsten Uhl: Die langen 1970er Jahre der Computerisierung. Die Formalisierung des Produktionswissens in der Druckindustrie und die Reaktionen von Gewerkschaften, Betriebsräten und Arbeitern, in: Vom Buchdrucker zum Medientechnologen. Wege der Druckindustrie in die Welt der Digitalisierung, hg. v. Constanze Lindemann u. Harry Neß, Hamburg 2018, S. 84-99.
- Karsten Uhl: Computerisierung, deutsch-deutsche Gewerkschaftsgeschichte und europäische Vernetzung im Kontext des Kalten Krieges. Die Arbeitskämpfe in der bundesdeutschen Druckindustrie in den 1970er- und 1980er-Jahren, in: Solidarität im Wandel der Zeiten. 150 Jahre Gewerkschaften, hg. v. Willy Buschak, Essen: Klartext 2016, S. 277-302.
- Karsten Uhl: Maschinenstürmer gegen die Automatisierung? Der Vorwurf der Technikfeindlichkeit in den Arbeitskämpfen der Druckindustrie in den 1970er und 1980er Jahren, in: Technikgeschichte, Bd. 82, 2015, H. 2, S. 157-179.
Stadtgeschichte
Industrie- und Autostädte im 20. Jahrhundert. Wachstums- und Schrumpfungsperspektiven.
Martina Heßler, Jörn Eiben
DFG-Projekt, Projektlaufzeit 2015 bis 2021
Autostädte wurden als spezifischer Stadttypus des 20. Jahrhunderts untersucht. Die Automobilindustrie stellt nach wie vor eine Schlüsselindustrie dar, von der weitere Industriezweige abhängen. Zudem ist das Automobil ein symbolbehaftetes Konsumgut, das – trotz Ressourcen- und Umweltproblematik –für Wohlstand, individuelle Freiheit und Modernität steht. Die Automobilkultur prägte die Städte. Anders als viele westliche Industriestädte, die im 19. Jahrhundert entstanden und heute vor allem Schrumpfungsprozessen ausgesetzt sind, weisen sie eine wechselvolle Geschichte auf, vor allem wenn man sie in globaler Perspektive betrachtet.
In einem DFG-Projekt wurden in Kooperation mit Prof. Dr. Clemens Zimmermann, Universität des Saarlandes, die Städte Wolfsburg und Wilhelmshaven (Projektleitung Heßler) sowie die Städte Rüsselsheim und Völklingen (Projektleitung Zimmermann) untersucht.
Das Projekt ist abgeschlossen. Die Monographie des Bearbeiters Dr. Jörn Eiben ist zu Beginn des Jahres 2020 erschienen:
- Jörn Eiben: Industriestädte und ihre Krisen. Wilhelmshaven und Wolfsburg in den 1970er und 1980er Jahren, Göttingen 2020.
Wissenschafts- und Technikstädte
Martina Heßler
Stadt und Wissenschaft sind in vielfacher Weise verflochten. Historisch betrachtet galten Städte häufig als Orte des Wissens, des Austausches und der Entstehung von Neuem. Wie sich das Verhältnis von Stadt und Wissenschaft in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts darstellte, wurde in einem am Forschungszentrum des Deutschen Museums angesiedelten Projekt (Habilitationsprojekt) am Beispiel der Stadt München untersucht.
Literatur
- Martina Heßler: »Die kreative Stadt« Zur Neuerfindung eines Topos. Bielefeld 2007.
Geschichte der Visualisierung / Wissenskommunikation
Martina Heßler
BMBF-Projekt, Förderdauer: 04/2005 – 06/2008
Die Rolle von Bildern und Visualisierungen in den Naturwissenschaften ist offensichtlich. Ein Forschungsprojekt untersuchte dieses visuelle Denken und visuelle Kommunizieren in den Naturwissenschaften (BMBF-Projekt). Es handelte sich um eine Kooperation mit der Universität Potsdam und der Humboldt-Universität.
Geschichte der Dinge / Designgeschichte
Martina Heßler
Der Technikgeschichte wird häufig eine gleichsam natürliche Affinität zu Objekten, zu Materialität zugesprochen. In verschiedenen Publikationen wurde der Frage nachgegangen, inwieweit sich Ding- , Design- und Technikgeschichte produktiv verbinden lassen. Dinge und das Design prägten die moderne technische Kultur. Untersucht wurden beispielsweise Praktiken des Wegwerfens und Gegenbewegungen wie spezifische Formen des Recyclings-Designs in den 1970er Jahren.
Fabrikgeschichte
Geschlecht, Raum und Technik in der Fabrik. Die „rationelle“ Gestaltung industrieller Arbeitsplätze in Deutschland 1900-1970
Karsten Uhl
DFG-Projekt, Projektlaufzeit: 2008 bis 2013
Das Projekt konnte zeigen, dass die Rationalisierung und die Humanisierung der Industriearbeit vom Beginn des 20. Jahrhunderts an in gegenseitiger Ergänzung den Kern des Projekts der ‚rationellen’ Gestaltung der Fabrik ausmachten. Folglich muss die übliche Periodisierung, die ein Ende der fordistischen Produktionsweise in der Mitte der 1970er Jahre postuliert, in ihrem umfassenden Anspruch in Frage gestellt werden. Der Kern dessen, was von der Forschung als post-fordistische Arbeitspraktiken identifiziert wird, lässt sich bereits als Element der Rationalisierungsdebatten und -praktiken der Zwischenkriegszeit erkennen.
Das in Kooperation mit Prof. Dr. Mikael Hård an der TU Darmstadt durchgeführte Projekt wurde von 2008 bis 2012 von der DFG gefördert. Das Projekt ist abgeschlossen. Der Projektbearbeiter Karsten Uhl hat die wesentlichen Ergebnisse in seiner Habilitationsschrift veröffentlicht: Karsten Uhl, Humane Rationalisierung? Die Raumordnung der Fabrik im fordistischen Jahrhundert, Bielefeld: transcript, 2014.