Karl Otmar von Aretin
Aus Anlass des 90. Geburtstags von Prof. Dr. Karl Otmar Freiherr von Aretin veranstaltete das Institut für Geschichte im Juli 2013 eine Festveranstaltung, die das Lebenswerk dieses herausragenden Historikers würdigte und bei der zugleich ein nach von Aretin benannter Preis eingerichtet und erstmals vergeben wurde.
Gründungsvater des Instituts für Geschichte
Das Institut für Geschichte betrachtet von Aretin als seinen Gründungsvater. Er war zwar nicht der erste Professor für Geschichte, aber ihm ist die fach-, ja universitätsübergreifende Anerkennung der Darmstädter Geschichtswissenschaft zu danken. An der damaligen TH Darmstadt hatte er von 1964 bis 1988 den Lehrstuhl für Zeitgeschichte inne. In diese Zeit fiel der Umbau der TH und damit der Fakultät für Kultur- und Staatswissenschaften, die Gründung des Instituts für Geschichte, die Aufnahme der Lehramtsstudiengänge, der Streit um die Hessischen Rahmenrichtlinien und vieles andere mehr.
Wegweiser
An allen diesen Vorgängen hat von Aretin nicht nur mitgewirkt in des Wortes schlichtester Bedeutung, sondern er hat eingegriffen, sich zu Wort gemeldet, die Richtung mitbestimmt. Die Zeit nicht nur beobachtend und kommentierend mitzuerleben, sondern gestaltend in sie einzugreifen, also zu handeln – das haben ihm Familientradition und Erziehung nahegelegt, nahe und ferne Verwandte vorgelebt. Der Vater bekämpfte als Redakteur der „Münchner Neuesten Nachrichten“ Hitler schon lange vor 1933 und saß deshalb von März 1933 an 14 lange Monate im KZ Dachau, der Schwiegervater, Henning von Tresckow, zählte zu den aktivsten Verschwörern und büßte dafür nach dem 20. Juli 1944 mit dem Leben. Wer solches aus der Nähe erfährt, betreibt Geschichtswissenschaft nicht nur in der Absicht, „zu zeigen, wie es eigentlich gewesen“, für den hat das Fach Geschichte einen prinzipiell kritischen und erzieherischen Auftrag. Von Aretin selbst ist dem persönlich niemals ausgewichen. In Zeitung, Rundfunk und Fernsehen hat er seit seiner Promotion für eine zeitnahe Geschichtswissenschaft geworben. Nach seiner Berufung an die TH setzte er gemeinsam mit seinem Kollegen Eugen Kogon durch, dass angehende Gewerbe- und Sozialkundelehrer auch Studienleistungen in Zeitgeschichte zu erbringen haben. Die Entwurf gebliebenen Hessischen Rahmenrichtlinien schließlich bekämpfte er, weil das Fach Geschichte mit seinem unverzichtbaren Auftrag der Selbstvergewisserung und Aufklärung in einer Gesellschaftskunde untergehen sollte, die die Vergangenheit nur noch als Steinbruch für Argumente betrachtete. „Niemand wird es uns ersparen, dass wir mit uns selber fertig werden“, schrieb er 1982 den Schulreformern ins Stammbuch.
Aretin als Zeithistoriker
Zeitgeschichte war von Aretin also gewissermaßen buchstäblich auf den Leib geschrieben. Als Zeithistoriker hatte man ihn nach Darmstadt geholt und die Geschichte zwischen 1919 und 1945 gehörte zu den bevorzugten Gegenständen seiner Beschäftigung mit der Vergangenheit. In zahlreichen Lehrveranstaltungen und Beiträgen, von denen zwei ihm (gewonnene) Beleidigungsprozesse ehemals Beteiligter eingetragen haben, schilderte er das Versagen der Eliten in Demokratie und Diktatur und begleitete er kritisch Deutschlands Wiederaufstieg nach dem Zusammenbruch.
Forschungsschwerpunkt Altes Reich
Seine zweite Leidenschaft als Historiker galt dem Alten Reich, wie das vierbändige, sein ganzes Forscherleben bilanzierendes und zum Standardwerk gewordenes Alterswerk heißt, in dem er die gut 150 Jahre zwischen Westfälischem Frieden und Untergang des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation im Jahre 1806 meisterlich abhandelt. Es ist nicht übertrieben, wenn man feststellt, dass die Aufwertung, die diese von den Historikern so lange vernachlässigte Epoche nach 1945 erfahren hat, zu einem erheblichen Teil auf das Konto von Aretins geht. Heute ist die Frühe Neuzeit eine eigene, fest etablierte Spezialdisziplin geworden, gut organisiert, mit eigener Zeitschrift versehen und in Büchern, Bildbänden und Ausstellungen breites Interesse der Öffentlichkeit erfahrend. Als von Aretin 1946 in München mit dem Studium begann, war das vollkommen anders. Von seinem Lehrer, dem berühmten Franz Schnabel, fand er weder in dieser noch in anderer Hinsicht Förderung. Er verarbeitete auch hier seine zeitgeschichtliche Erfahrung. Mangelnde Verfassungstreue, unfähige Kabinette, Großmachtstreben und Teilungspolitik – das waren – und sind bis heute – die Kategorien, mit denen von Aretin die Geschichte der Frühen Neuzeit erfasst. Er holte sie aus verstaubten Archiven und vergilbten Buchrücken und präsentierte sie lebendig, d.h. im Hinblick darauf, was Größe und Versagen von Monarchen, Ministern und Diplomaten für die Summe deutscher Geschichte bedeutet haben. Diese Summe ist eine in föderaler Organisation aufgehobene Rechtsordnung, die weder Despotie noch Hegemonie erlaubte bzw. vertrug und die von Napoleon dank verantwortungsloser, wie es bei von Aretin immer wieder heißt, Vorarbeit der letzten habsburgischen und preußischen Monarchen zerstört worden ist.
Ko-Direktor des Instituts für Europäische Geschichte, Mainz
Wem die Geschichte des Alten Reiches ans Herz gewachsen ist, dem ist die Beschränkung auf nationale Standpunkte ein Greuel. Dass von Aretin deshalb 1968 neben seiner Darmstädter Professur Ko-Direktor des Instituts für Europäische Geschichte in Mainz wurde und dieses Amt bis 1994 ausübte, liegt daher in der Logik seines wissenschaftlichen Interesses. Hier hat von Aretin wissenschaftlich und wissenschaftspolitisch Bahnbrechendes geleistet, namentlich was die Anbahnung von Kontakten mit Südost- und Osteuropa betrifft. Verbindungen hat er angeknüpft und Nachwuchskräfte nach Mainz eingeladen, als wäre er ein Zeitgenosse des von ihm erforschten Fürsten Kaunitz.
Ehrendoktor der Universtität Posen
Für den Eisernen Vorhang war da wenig Platz und dass die Universität Posen ihm 1984 als erstem Deutschen den Ehrendoktor verliehen hat, zeigt mehr als vieles Andere, wie wichtig seine Brückenschläge gerade in jenen Zeiten geschlossener Grenzen waren.
Karl Otmar Freiherr von Aretin starb am 26. März 2014.
Der Aretin-Preis
Das Institut für Geschichte ist dankbar und stolz zugleich, eine so ausgezeichnete Persönlichkeit zu seinen Ehemaligen zählen zu dürfen. Der von Aretin-Preis für herausragende Leistungen in einer das Studium beendenden Qualifikationsarbeit soll nicht nur den Nachwuchs auszeichnen, sondern die Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden an die unverzichtbaren demokratischen Randbedingungen unserer geistigen Kultur erinnern. Daher bitten wir um Spenden. Für diese Spende können Sie eine Spendenbescheinigung erhalten.
Ihre Spenden, die der Auszeichnung hervorragender Abschlussarbeiten dienen soll, adressieren Sie bitte unter Angabe von Namen, Adresse inkl. Email-Adresse und des Verwendungszwecks „Spenden zugunsten von Aretin-Preis“ an das Konto der