Historische Technikanthropologie

“What does it mean to be a fucking human being”? Die Frage, die David Foster Wallace als Kernfrage seiner Romane verstand, wird auch derzeit im Kontext der Digitalisierung und der Künstlichen Intelligenzforschung erneut und teils aufgeregt gestellt. Verschiedene Theorieentwürfe wie die Actor-Network-Theorie, die Medienökologie oder -anthropologie sowie, untrennbar damit verbunden, eine philosophische Anthropologiekritik haben in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts anthropozentrische Vorstellungen einer menschlichen Sonderstellung kritisiert und hinterfragt. Damit einher ging eine Neupositionierungen der Menschen als dezentrierte Entität unter vielen Entitäten in einem Geflecht von Relationen.

An der Professur wird dagegen eine dezidiert historisch-technikanthropologische Perspektive eingenommen. Im Zentrum steht, wie Marc Bloch formulierte, die Frage nach „den Menschen […] in der Zeit“. Die damit verknüpfte Annahme einer historischen Variabilität der Menschen jenseits ontologischer und universalistischer Feststellungen stellt für eine Historische Technikanthropologie eine unhintergehbare Prämisse dar. Die Historizität und Pluralität von Menschsein in einer technisierten Welt sind das Thema einer Historischen Technikanthropologie.

Begriffe wie MenschMaschine, Cyborg, der „Prothesengott“ oder homo faber bezeichneten neben vielen anderen Konzepten im 20. Jahrhundert die Technisierung der Menschen. Sie machen deutlich, dass sich Menschsein unter technologischen Bedingungen verändert. Seit der Frühen Neuzeit vergleichen sich Menschen mit Maschinen, grenzen sich von ihnen ab, verschmelzen mit ihnen oder versuchen sie zur Machtsteigerung zu nutzen. Maschinen fordern immer wieder das menschliche Selbstverständnis heraus, sie vermitteln Praktiken, Wahrnehmungen und Handlungen. Technik ist Teil der conditio humana. Technik ist eine Lebensform.

Im Sinne einer Historischen Technikanthropologie werden MenschMaschinen-Verhältnisse in der modernen Arbeitswelt, im Hinblick auf die Geschichte des Denkens und der Emotionen und im Bereich der Mobilität untersucht. Die Forschungen reichen dabei von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, von der Entwicklung mechanischer Rechenmaschinen, des Schachcomputers bis zur Künstlichen Intelligenzforschung und emotionalen Maschinen.

Literatur:

  • Martina Heßler, Techno-Humanity: A Plea for a Historical Anthropology for Technology, in: ICON: Journal of the International Committee for the History of Technology 24, 2018/2019, S. 65-75.
  • Martina Heßler, Menschen – Maschinen – MenschMaschinen in Zeit und Raum. Perspektiven einer Historischen Technikanthropologie, in: Martina Heßler/Heike Weber (Hrsg.): Provokationen der Technikgeschichte, Paderborn 2019, S. 35-68
  • Martina Heßler/Kevin Liggieri: Technikanthropologie. Handbuch für Wissenschaft und Studium, Baden Baden 2020.